Begründung:
Der seit
Jahren schwelende Lerchenberger Kehrstreit, der u.a. auch den Großberg, Bretzenheim-Süd
und punktuell weitere Stadtteile betrifft, gewinnt erneut Aktualität wegen der
Weigerung des Landes, das Landesstraßengesetz auf Mainzer Besonderheiten anzupassen.
Die von
einem Finther Präzedenzfall ausgelöste Umverteilung der Kehrkosten von Vielen
auf Wenige wird seit Jahren nicht nur von Bürgern sondern auch von der
Verwaltung und von Mandatsträgern als unbefriedigend gesehen. Aus Einsicht in
die Unzuträglichkeiten, hat sich die Stadt mit Zustimmung des Stadtrats an den
Landesgesetzgeber gewandt mit dem Ziel, über eine Änderung des
Landesstraßengesetzes zu Rahmenbedingungen zu kommen, die eine Korrektur der
Kehrsatzung erleichtern.
Leider hat
das Land sich trotz Einsicht in die Problematik zurückgezogen, weil kein Bedarf
gesehen wird, eine ausschließlich auf Mainz zugeschnittene Gesetzesnovellierung
vorzunehmen. Der verantwortlich zeichnende Staatssekretär Kern vertritt die
Auffassung, dass die getroffenen gerichtlichen Entscheidungen zur
Straßenreinigung „hingenommen werden sollten“. Damit sind jetzt Stadtrat und
Stadt in der Pflicht, den zunächst an das Land delegierten Korrekturbedarf
eigenverantwortlich durch Anpassung der Kehrsatzung vorzunehmen.
Entgegen der von der Stadt bisher vertretenen
Auffassung stehen die Vorgaben im Landesstraßengesetz einer Korrektur der
Kehrsatzung nicht entgegen. In einem Fernsehinterview wurde von der
Landesregierung kein Grund für eine Gesetzesänderung gesehen sondern darauf
hingewiesen, dass die volle Regelungskompetenz bei der Stadt liege, also in
einer Anpassung der Kehrsatzung.
Begründung unter
Heranziehung des Beispielfalls Lerchenberg:
Der
Stadtteil Lerchenberg wurde als Demonstrativbaumaßnahme mit
Fördermitteln des Bundes und des Landes als autogerechte und zugleich verkehrsberuhigte
Siedlung konzipiert. Die Förderung war mit zahlreichen Auflagen
verbunden, die alle eine enge Verquickung der Bewohner untereinander zum Ziel
hatten, auch verkehrstechnisch. Es gibt nur relativ wenige Straßen, teilweise ohne Bürgersteig. Die
weitaus überwiegende Mehrzahl der Bewohner kann ihre Häuser nur über
verschieden lange, nicht befahrbare Wohnwege erreichen. Nur wenige Grundstücke,
zumeist an verkehrsarmen Anliegersackgassen, grenzen an Erschließungsstraßen.
Wenige Siedler, die das Pech haben, zufällig über ihre gesamte Grundstückslänge
straßenparallel zu liegen, werden nach einer sehr formalistischen Entscheidung
des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in einem Finther Präzendenzfall ohne
die in § 75 der Gemeindeordnung vorgeschriebene Abstimmung mit Stadtrat und
Ortsbeirat rückwirkend ab 2005 mit exorbitanten Kehrkosten belastet unter Verschonung der
Wohnwegeanlieger. Wenige zahlen also die
Kehrkosten eines ganzen Stadtteils.
Die Neuveranlagungen haben den Vorderliegern großen
Schaden zugefügt und die Bewohner des Lerchenbergs in eine
Zweiklassengesellschaft geteilt. Straßenanlieger müssen vielfach rund 500
Euro Kehrkosten im Jahr bezahlen, die Grundstücksnachbarn gar nichts, obwohl
diese aufgrund ihrer Vielzahl die gleiche Straße wesentlich intensiver nutzen,
dort ihre Fahrzeuge abstellen, wegen der Nichterreichbarkeit der Häuser
regelmäßig auch Lieferanten- und Handwerkerfahrzeuge, oft genug auch
Bauschuttcontainer. Gemäß dem einstimmigen Beschluss des Ortbeirats vom
08.11.2007 ist im Interesse des Rechtsfriedens, wie er über Jahrzehnte im
Stadtteil geherrscht hat, die Rückkehr zur alten, gerechten Verteilung der
Kehrgebühren geboten, hilfsweise ein anderes Modell unter Berücksichtigung der
Tatsache, dass der Verschmutzungsgrad der Fahrstraßen minimal ist, da anders
als in der Innenstadt kaum weggeworfener Dreck anfällt.
Sicherlich
kann der Entsorgungsbetrieb sich darauf berufen, dass sein Handeln vom VG und
OVG ausgelöst wurde. Allerdings gilt die Entscheidung der Justiz formal nur für
den entschiedenen Musterfall und nicht für alle vielgestaltigen
Problemstellungen. Bemerkenswert ist, dass schon 2008 in einer Verhandlung vor
dem Verwaltungsgericht Mainz der Vorsitzende Richter Wanwitz sein Unbehagen
äußerte und sogar die beiden Vertreter der Stadt eine politische Lösung für
geboten hielten.
Welche
Unzuträglichkeiten mit der geänderten Kostenverteilung angerichtet wurde, zeigt
der von einem kommunalpolitisch aktiven Lerchenberger gegen die Rechtsprechung
durchgesetzte Schiedsspruch des Stadtrechtsamts vom Februar 2010. Diese
Entscheidung macht deutlich, welche Zufälle zum irrationalen Maß der Dinge
geworden sind. Abhängig davon, ob Garagen längs oder quer, rechts oder links, vorwärts
oder rückwärts angeordnet sind, werden Gebühren berechnet oder auch nicht.
Alleine in der Fontanestraße gibt es die von der Pressestelle der Stadt Mainz
als seltenen Ausnahmefall kleingeredete Situation 51 mal. Ähnliche Dimensionen
gibt es in der Hermann-Hesse-Straße. Die Stadt musste zahllosen falsch
veranlagten Bürgern tausende Euro zurückzahlen. In den genannten Beispielen
kehrt die Stadt zwar die gesamte Straßenlänge, kann aber nur etwa die Hälfte
gebührenpflichtig umlegen.
Die bisherigen Stellungnahmen der Stadt zur
Aufrechterhaltung der ungleichen Kostenbelastung sind nicht einsichtig. Es ist
nicht nachvollziehbar, dass zur Rechtfertigung der Kehrversorgung auf dem
Lerchenberg vorgebracht wird, ohne Kehren würde es zu einer Verschlechterung des
Ortsbildes kommen und man müsse eine große Kehreinheit vorhalten und
beschäftigen, damit diese für Sonderereignisse in der Innenstadt zur Verfügung
stehte.Zitat aus einer Beschlussvorlage:
„Bei
einer Vielzahl von jährlichen Veranstaltungen (Rosenmontag, Johannisfest,
Mainzer Gutenbergmarathon usw.) sorgen die Mitarbeiter der Straßenreinigung mit
ihrer praktischen Erfahrung dafür, dass nach kurzer Zeit die Verkehrssicherheit
auf den Straßen wieder hergestellt ist und die unweigerlich durch Veranstaltungen
entstehenden Verunreinigungen (nicht nur Papier und Glas) beseitigt werden. Bei
einem reduzierten Personalbestand in der Straßenreinigung sind diese Leistungen
nicht mehr in dem Maße durchführbar.“
Es
sei die Frage erlaubt, weshalb ausgerechnet die Lerchenberger oder andere
Siedler in ähnlicher Situation für den innerstädtischen Sonderbedarf
herangezogen werden und nicht die Nutznießer solcher Veranstaltungen oder die Kehrfreien vor allem in nobleren Wohngegenden. Keinesfalls
ist die Stadt verpflichtet, Kehrkosten umzulegen. Nach § 17 Abs 3 LStrG kann
dies die Gemeinde, muss es aber nicht.
Mit
der aktuellen Gebührenerhebung, kann die Stadt nicht zufrieden sei, weil sie
sich sowohl durch den Schiedsspruch zur Garagensituation als auch durch eine
Vielzahl kehrfreier Bereiche selbst nennenswerter Einnahmen beraubt. Also
müssen durch Änderung der stadteigenen Formalien neue Wege gefunden werden.
Für
den Lerchenberg als Beispielfall könnte die Aufhebung der erst 2004 erfolgten
Wegewidmung eine Lösungsmöglichkeit bieten, falls dies formal zulässig ist.
Damit würde sich das alte Umlagemuster wieder herstellen lassen. Einen
Ansatzpunkt für diesen Weg bietet die Tatsache der Namenlosigkeit und der
Nichtbefahrbarkeit der Wohnwege und dass sich die Widmung auf die gar nicht
befestigte, im Kataster eingetragene Breite bezieht. Die faktische Widmung
einer halben Wegebreite ist ein Kuriosum. Zum Erschließungsbegriff sei auf das
auszugsweise beigefügte Urteil des BGH Karlsruhe V ZR 106/07
hingewiesen.
Es
gibt aber auch andere Wege zur Gerechtigkeit, z.B. eine Umlage nach
Grundstücksgröße oder ein Überdenken, ob es wirklich einen Sinn macht, dass
z.B. das Kehrauto oft funktionslos an geparkten Fahrzeugen vorbei Patrouille
fährt. Auch die Kehrhäufigkeit sollte hinterfragt werden. So gibt es z.B. in
Worms einen vierzehntägigen Kehrzyklus, in Würzburg teilweise nur alle drei
Wochen.
Mit dem Strapazieren von
Formalien lässt sich nichts mehr lösen, denn die Justiz kann den
Gestaltungsauftrag der Politik nicht ersetzen. Der gordische Knoten muss durch
Neufassung der Kehrsatzung durchschlagen werden, wie der Werksausschuss des
Entsorgungsbetriebes bereits am 9.6.2009 in einer Beschlussvorlage als Auftrag
an die Verwaltung vorgegeben hat
Auszug aus Urteil des BGH
Karlsruhe V ZR 106/07